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Exkurs:
Das Monotonie-Kriterium und die Ersatzstimme
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In einigen Wahlsystemen kann es zur Verletzung des Monotoniekriteriums kommen; siehe dazu z.B. die Erläuterungen bei Wikipedia zum Instant Runoff Voting.
Dieses unerwünschte Phänomen, welches sich im "Negativen Stimmgewicht" in einer besonders krassen Ausprägung manifestiert, ist auch bei der Ersatzstimme möglich, sofern statt einem einstufigen Zuteilungsverfahren ein mehrstufiges Verfahren durchgeführt wird. "Mehrstufig" meint ein Auszählungs- bzw. Zuteilungsverfahren, bei dem auch Parteien, die mit ihren Erstpräferenzen das Sperrquorum verfehlt haben, Stimmen von schwächeren Parteien übertragen bekommen können.
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Hier ein konkretes Beispiel:
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Wir nehmen die folgende Ausgangslage an: Bei einer Partei kam es zu einer Abspaltung eines linken und eines rechten Flügels, die miteinander stark zerstritten sind; die verbleibende Rumpfpartei kommt jedoch mit beiden Lagern zurecht. Bei der Wahl schneiden die Parteien in Bezug auf die Erstpräferenzen wie folgt ab (es gilt eine 5%-Hürde):
Beschreibung der Gruppierung, Abk. |
Wahl- ergebnis |
Zweitpräferenzen zugunsten |
Linker Flügel [LINKS] |
4,5 Prozent |
100%: MITTE |
Mitte-Rumpf [MITTE] |
3,0 Prozent |
50%: LINKS 50%: RECHTS |
Rechter Flügel [RECHTS] |
3,0 Prozent |
100%: MITTE |
Solange die Parteien MITTE und RECHTS identische Stimmenzahlen aufweisen, ist nicht klar, wessen Stimmen als erstes zu verteilen sind. Wir ändern deshalb die Ausgangslage insoweit, dass eine der beiden Parteien eine zusätzliche Stimme erhält.
Szenario A:
MITTE bekommt eine Stimme mehr als RECHTS.
Folge:
Die Stimmen von RECHTS werden als erstes übertragen; sie fallen geschlossen an die MITTE-Partei.
Ergebnis:
MITTE überspringt mit 6,0 Prozent die Sperrklausel, LINKS scheitert mit 4,5% an ihr.
Szenario B:
RECHTS bekommt eine Stimme mehr als MITTE (z.B. von einer LINKS-Anhängerin).
Folge:
Die Stimmen von MITTE-Wählern werden als erstes übertragen; sie fallen je zur Hälfte an LINKS und RECHTS.
Ergebnis:
LINKS überspringt mit 6,0 Prozent die Sperrklausel, RECHTS scheitert mit 4,5% an ihr.
Fazit: Es wäre in diesem Fall für die LINKS-Anhänger rational, in größerem Ausmaß ihre Stimmen an RECHTS zu vergeben, um LINKS damit einen Vorteil zu verschaffen. Oder anders ausgedrückt, um das paradoxe Moment noch stärker herauszuarbeiten: LINKS-Anhänger würden ihrer bevorzugten Partei schaden, wenn sie diese wählen würden, statt ihre Stimme an einen bestimmten politischen Gegner zu vergeben.
Letztlich ist dies ein konstruierter Fall, der für reale Wahlentscheidungen nur bedingt relevant sein dürfte. Solange sich das Ergebnis kleiner Parteien nicht mit hinreichender demoskopischer Trennschärfe bis auf Nachkommastellen korrekt vorhersagen lässt, besteht für Wähler eine gewisse Unsicherheit darüber, ob ihr taktisches Wählen von Erfolg gekrönt sein wird. Andererseits hält dieselbe Unsicherheit auch bisher schon "Leihstimmenwähler" nicht davon ab, ihre Stimmen an Wackelkandidaten zu vergeben, welche sich bei Umfragen unmittelbar an der Sperrklauselschwelle oder noch darunter befinden
Auf jeden Fall ist es ärgerlich, wenn sich eine Partei hinterher von Statistikern vorrechnen lassen muss, dass sie mit weniger Stimmen besser abgeschnitten hätte. Und soweit es um den Sonderfall einer Nachwahl geht, kann die Verletzung des Monotonie-Kriteriums sehr wohl reale Auswirkungen auf das Wahlverhalten entfalten, weil die benötigten Stimmenzahlen ja schon im vorhinein bekannt sind (vergl. z.B. die berühmte Nachwahl in Dresden bei der Bundestagswahl 2005, bei der es ebenfalls zu paradoxen Effekten durch ein negatives Stimmgewicht kam).
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